„los“ – Kurze Geschichten von Ingrid Kaech.
So ganz harmlos, im handlich schmalen Taschenbuchformat und puristischen Design – weiß mit blassblauem Streifen – kommen die Geschichten daher. Und doch fliegen sie uns im weiteren Verlauf wie Pistolenkugeln um die Ohren. Auf LOS folgen 29 Geschichten in 3 Kapitel. Die bedeutungsschwangeren Titel enden jeweils auf „-los“: gedankenlos, spurlos, willenlos, wortlos …
Die Berliner Autorin Ingrid Kaech ist Schreibtrainerin, Regisseurin und Dramaturgin. In ihrem neuen Buch „los“ legt sie den Finger auf die Wunde und thematisiert existenzielle Fragen von Überleben, Einsamkeit, Gewalt. Viele der „los“-Geschichten beginnen zunächst melancholisch-verträumt, eskalieren und enden gnadenlos – wie im Thriller. Den Protagonisten fällt die selbst geschaffene Traumwelt urplötzlich wie der Himmel auf den Kopf, meist in Form eines Unfalls, Zusammenbruchs oder plötzlichen Erwachens. Immerhin führt die totale Zerstörung des Traums schließlich zu Klarheit und Erkenntnis – die Basis für den Neuanfang. So entsteht ein zartes Happy End, ein Weg aus der Depression.
Das erste Kapitel konzentriert sich auf Szenen im Leben einer einzelnen Person: Der Mann der versucht, seine Gedanken auszuschalten („gedankenlos“), die Frau, die auf ihrem Lebensweg keine Spuren hinterließ und den Faden verliert („spurenlos“), der Hobby-Mathematiker, dem vor lauter Primzahlen schwarz vor Augen wird („grenzenlos“). Wie ein alter Bekannter scheint der Typ aus „uferlos“, ein jammerndes Weichei, der sein Leid bei Frauen ablädt. Das unheimliche Verbrechen in „arglos“ geht unter die Haut, ohne, dass wir Details erfahren. Ähnlich dicht ist die Atmosphäre in „tatenlos“, eine Story über einen Voyeur, der eine brutale Entführung sieht, in geiler Ohnmacht verharrt, zum Komplizen wird und das Opfer verrät.
Ingrid Kaechs kurze Sätze, ihre klaren hart gewählten Worte wirken wie kleine Schläge auf den Hinterkopf. Da bleibt keine Muße für Melancholie oder Traurigkeit. Ohne Vorwarnung wird der Protagonist aus seiner Agonie gerissen und die Story nimmt eine überraschende Wendung. Gerade wähnt man sich noch an einem ruhigen beschaulichen Ort – zack – schlägt die Story einen Haken. Staunend stockt einem der Atem ob der unerwarteten Konsequenz, die sich aus den Vorfällen ergibt.
Im zweiten Kapitel geht es um Paare: „endlos, wesenlos, hilflos, erwartungslos …“ Geschichten mit einer gewissen spröden Romantik, die doch meistens tragisch ablaufen oder gar enden. Die Autorin beschreibt das Beziehungsgeflecht von kinderlosen alleinstehenden Großstädtern um die Vierzig. (m)Eine Generation, die sich im Drang nach Erkenntnis, Selbstverwirklichung und Freisein verstrickt und manches Mal selbst verliert („wunschlos“). Die faszinierende Parallelgeschichte „endlos“ zeigt im harten Stakkato, wie sich ein Paar durch Passivität voneinander entfernt. Dagegen erkennt in „zeitlos“ ein symbiotisch lebendes Paar im Moment der Trennung, dass es seine Individualität verlor: „Es gibt kein Ich und Du ohne das Wir“.
Im dritten Kapitel geht es um die Liebe. Ein stereotypes Script („fassungslos“) wird durch die bloße Einfügung von Namen zum Drama. Eine Frau fantasiert sich Männer an die Seite: Den Fürsorglichen, der sie mit Wiesenblumen vom Bahnhof abholt („wortlos“), den Schönling, der es sich auf ihrer Couch allzu bequem macht („zwecklos“) oder den jungenhaft-romantischen Beifahrer („zwanglos“), der zwar jammert, wenn sie rast, aber durch unvorsichtige erotische Eskapaden einen Unfall herbeiführt – so scheint es.
Der gerade aktuell frisch sich gründende „Verlag für Kurzes“ widmet sich – der Name ist Programm – der Veröffentlichung kurzer Geschichten. Im Blog beschreibt die Verlegerin Marion Wagner den Gründungsprozess ihres Kreuzberger Verlags. Die spannenden Geschichten von Ingrid Kaech sind jedenfalls ein würdiger Einstieg und machen Appetit auf mehr. Die Idee von kleinen Büchern mit kurzen gehaltvollen Texten passt in die Zeit*. Die Aufmachung ist stabil und robust, genau richtig für unterwegs, die Mittagspause, U-Bahn oder Warteschlange. Das nenn ich pragmatisch Literatur unter die Leute gebracht – alles Gute!
Details:
Ingrid Kaech – los-Geschichten
Kurze Geschichten
Verlag für Kurzes, Berlin
115 Seiten, 12 x 19 cm, Broschur – 12 Euro
ISBN 978-3-942794-01-05
- Leseprobe beim Verlag: verlag-für-kurzes.de/buecher
- Ingrid Kaech: www.leichterhand.de
- Autorenlesung und Feier am 8. September 2011
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