oder: Drehstuhl ist nicht gleich Drehstuhl
Wer täglich bis zu 8 Stunden am Schreibtisch sitzt (Pausen und stehend Telefonieren bereits abgezogen), ist auf einen optimal angepassten Arbeitsplatz angewiesen. Ergonomisch muss alles stimmen, sonst macht sich das ziemlich bald bemerkbar; vielleicht bleiben 30-Jährige noch verschont, aber zehn Jahre später wird’s dann schon kritisch … angeblich geht massiven Rückenschmerzen oder einem Bandscheibenvorfall jahrelanges falsches Sitzen voraus.
Allein schon deshalb lohnt sich die Ausgabe für einen professionellen Drehstuhl jenseits der Standardangebote von Möbelhäusern. Befasst man sich erstmals mit der Materie, ist die Masse der Informationen erdrückend. Deshalb fasse ich hier mal die Essenz zusammen, die sich aus meinen Anforderungen an einen solchen Stuhl ergeben hat.
Größe, Gewicht
Für eine zierliche Person mit 60 kg gelten natürlich andere Voraussetzungen, als für einen kräftig gebauten Menschen, der sich mit über 90 kg Lebendgewicht täglich mehrmals in den Sitz plumpsen lässt. Kleine Menschen unter 70 kg habens gut: Sie können relativ problemlos online bestellen, auch ohne Sitztest im Fachhandel. Wichtig ist hierbei die Sitztiefe – am besten misst man diese auf dem bisherigen Stuhl ab; die Kniekehlen dürfen nicht den Sitzrand berühren (Durchblutungsstau!). Selbstverständlich muss der Stuhl höhenverstellbar sein, aber das gehört zum Standard. Die Füße müssen flach auf dem Boden stehen, die Unterarme gerade zur Tastatur angewinkelt sein.
High-Tech im Drehstuhl
Je nach persönlicher Vorliebe gibt es heute dynamische Stühle, die in sich komplett beweglich sind und auf denen man permanent herumeiert („aktives Sitzen“), z. B. mit Balance-Sitzgelenk. Mein Fall ist das beim Schreiben nicht, aber viele mögen das – ergonomisch sind diese Fitness-Stühle natürlich sinnvoll. Eine ganz eigene Kategorie mit vielen Fans bilden die Swopper; ich mag jedoch auf meine Arm- und Rückenlehne nicht verzichten. Einige Ergonomie-Drehstühle werden für Leute mit entsprechendem Attest sogar von der BfA gesponsort; zumindest für Angestellte ist das der Fall.
Synchronmechanik heißt, dass Rückenlehne und Sitz dynamisch den Sitzbewegungen folgen – ein sehr angenehmes Gefühl, vergleichbar mit einem gut gefederten Schaukelstuhl. Der Gegendruck der Rückenlehne muss sich unbedingt auf das Körpergewicht einstellen lassen.
Maximale Verstellbarkeit
Wenn der Stuhl von mehreren Personen benutzt wird, sollte er gut verstellbar sein. Ist bei mir nicht der Fall, deshalb habe ich das vernachlässigt. Die Maße müssen stimmen, z.B. die Sitzbreite und – Tiefe sowie die gewünschte Höhe der Rückenlehne: Soll der Kopf abgestützt werden, wie weit will man sich nach hinten lehnen, kann eine Kopfstütze nachgerüstet werden? Leute mit Hohlkreuz brauchen ev. eine Schukra-Lordosenstütze. Die Armstützen sollten zumindest in der Höhe verstellbar sein, damit man nicht in Konflikt mit der Tischkante kommt. Sinnvoll ist die verstellbare Sitzneigung, was die Durchblutung der Beine verbessert.
Damit wird die Auswahl schon mal wesentlich kleiner.
Features
Angenehme Zusatzoptionen machen den Drehstuhl zum echten Objekt der Begierde. Angefangen vom Design – das tägliche Arbeitsgerät muss (für mich jedenfalls) gut aussehen. Nicht wenige moderne Drehstühle haben Designpreise abgeräumt, u.a. den Red Dot Award (z.B. Girsberger Reflex). Und bleiben trotzdem bezahlbar. Farbe und Stoffart des Bezugs sind ausschlaggebend für den Preis – wer Wolle will, muss mindestens 150 Euro mehr bezahlen. Stiftung Warentest fand in einigen Bürostühlen sogar Schadstoffe – das muss ja wohl nicht wirklich sein …
Die Belüftung ist für langes Sitzen nicht nur im Sommer eine wichtige Kategorie (Netzrücken oder Abstand zwischen Sitz und Lehne). Ob das Fußkreuz plastikschwarz oder aus Metall sein soll, ist allein eine Preisfrage. Der ökologische und soziale Anspruch einer Firma ist für mich ein weiteres wichtiges Kriterium.
Links
Hier also eine kleine, unvollständige und subjektive Linksammlung zum Thema, darunter auch einige Hersteller und Anbieter, die mir besonders aufgefallen sind. Marktführer sind Büromöbelhersteller aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Haworth, USA. Ich hab mich letztlich für den superschönen Girsberger Reflex (Bild) entschieden, den ich zum Einführungsspezialpreis bei einem Bürostuhlanbieter in Berlin-Kreuzberg ausfindig gemacht und dort direkt abgeholt habe.
Test
Hersteller (Auswahl)
- Girsberger Office Collection, Bützberg, Schweiz
- Wiesner-Hager point / paro, Altheim, Österreich
- Viasit Sitzmöbel, Neunkirchen
- Trend!Office Dauphin Human Design, Offenhausen
- Haworth, USA
- Giroflex
- Hag
- Wagner Wellness Dondola
Vertrieb
Last not Least:
Checkliste – die 5 Regeln des richtigen Sitzens
Oh, das ist ein toller, hilfreicher Eintrag. „Leider“ hab ich mir schon einen guten Stuhl zugelegt, ich hab bei Ebay auf ein Schnäppchen gewartet, er kam dann auch aus Berlin.
Aber mein feines Sitzmöbel, Meda 2 von Vitra, hat eine nicht so ganz starke Feder für den Rücken, zumindest in meiner Ausführung. Der ist deinem Wunschsitz nicht ganz unähnlich. Gut, ein bisschen gleichen die sich alle.
http://www.vitra.com/products/office/office_chairs/meda_2/default.asp?lang=de_de
Der Netzrücken bekam im Winter zumeist eine Strickjacke oder eine Decke umgelegt, damit’s gemütlicher wird (und die Katzen sich nicht die Krallen dran schärfen), aber ich freu mich schon auf den Sommer, da wird er sich wohl richtig auszahlen. Das konnte ich im letzten Sommer ja nicht so richtig testen …
Hm, lieber etwas abnehmen oder irgendwann doch mal noch einen neuen kaufen – das ist die Frage. 🙂
Ich schicke den Link auch mal meiner Schwester, die sucht gerade – auch wenn ihr Korbsessel super schön und gemütlich ist, unergonomischer geht’s wohl kaum. 😉
Boah! Der ist auch extremst gutaussehend 🙂
allerdings, der Preis … hoppla … meiner lag unter 400 Euronen, ohne Sonderausstattung.
durch den Netzrücken ziehts tatsächlich an den Nieren; nicht sehr angenehm – aber wir testen das dann im Hochsommer! Gell.
Den Beitrag oben finde ich sehr gut ausgearbeitet, er bedarf jedoch aus fachlicher Sicht einiger Korrektur.
Einen Drehstuhl sollte man aus meiner persönlichen Sicht, entgegen Deiner Bemerkung unter „Größe, Gewicht“, niemals online und ohne Sitztest bestellen, da die Menschen – wir sehen es täglich in unseren Beratungen in der Ausstellung – immer total verschieden sind.
Ebenso beschreibst Du, dass der komplett bewegliche Sitz ergonomisch sinnvoll ist, aber Du ihn nicht magst. Ich kann Dir sagen, dass es mittlerweile genug wissenschaftliche Erkenntnisse gibt – es ist schädlich, wenn das Becken ohne Führung frei herumbaumeln kann. Gerade der XXX führt zu einer typischen Rundrückenhaltung, da über die Dauer des Sitzens die „Dressurreiterhaltung“ nicht eingehalten werden kann. Mit am Schlimmsten sind Modelle der Firma XXX wo sich die Armlehnen mit dem Sitz mit bewegen. Aus Sicht vieler Fachleute aus ergonomischer Sicht eine Katastrophe, weil dem Körper jegliche Stützung fehlt und es so automatisch zu Fehlhaltungen kommt.
Bei der Synchronmechanik schreibst Du, dass der Anpressdruck der Rückenlehne unbedingt auf das Körpergewicht eingestellt werden muss. Ich weiß, viele Hersteller behaupten, dass es mit deren Stühlen machbar ist, teilweise sogar automatisch. Aber das ist total falsch, und auch nicht sinnvoll. Vielmehr kommt es auf den Oberkörperhebel an, der nämlich wieder bei den Menschen sehr unterschiedlich ist. Besser wäre eine Beschreibung: Der Anpressdruck der Rückenlehne muss stufenlos so eingestellt werden, dass sich der Oberkörper während des zurücklehnens in einer angenehmen Pendelwaage halten lässt. Die Kraft sollte nicht zu hoch sein (man sollte nicht nach vorne gedrückt werden) aber auch nicht so leicht, das man gleich nach hinten durchsackt. Als Tipp: Eine Dual-Synchronmechanik einsetzen, z.B. Papilio von Kusch + Co der einen linearen Verlauf des Anpressdruckes gewährleistet.
Die Belüftung mittels Netzrücken wird häufig von Benutzern kritisiert, weil es wirklich kühl wird im Winter. Hier kann man das wesentlich bessere 3Mesh-Gewebe von Köhl einsetzen (ich halte die Marke nun nicht für besser oder schlechter, aber ich nehme dies als Beispiel für eine gute Umsetzung von belüftetem Sitzen), deren Polsteraufbau aus den Hightech-Sitzen der Oberklasseautos kopiert wurde. Im Sommer belüftet dieser Sitz, im Winter hält er warm. Eine Menge Infos lassen sich im Internet finden.
Schön finde ich, dass Du bei der Auswahl auch auf die Ästhetik geachtet hast, denn wie Du schon schreibst – man guckt sich das Teil ja täglich an.
Ansonsten hat mir Dein Artikel sehr viel Spaß gemacht, und ich werde Ihn in einem meiner nächsten Blogartikel sicherlich noch einmal besprechen.
Gruß
Sven
Hallo Sven, danke für deine Ergänzungen! Ich musste allerdings zwei der von dir erwähnten Firmen ausXXen, damit ich mir keine Abmahnung einfange.
Inzwischen sind seit meinem Posting über 1,5 Jahre vergangen. Und ich habe noch eine weitere Variante entdeckt, die sich sehr bewährt: Nach einigen Stunden den Stuhl wechseln. Dafür eignet sich z.B. (falls man nicht zuviel wiegt) bereits ein günstiger Stuhl wie der Hocker Sitness hier bei memo.de.
Online bestellen finde ich nicht allzu problematisch, denn schließlich kann man den Stuhl innerhalb von 14 Tagen zurückschicken (jedenfalls bei nicht gewerblichen Bestellungen). Oder man kombiniert online bestellen und vor Ort abholen (=testen).
Bei einem richtig guten Stück (aka teuer) würde ich aber auf eine gute Beratung im Fachgeschäft, z.B. hier in Berlin bei Sitz-Art, nicht verzichten wollen, logisch.