Jeder pflegt seine eigene Realität
Auf welch unterschiedlichem Wissensstand die Internetnutzer sind und wie sich das im Alltag äußert . Ein Querschnitt durch einige Begegungen, Gespräche und Artikel aus den letzten Tagen.
Da waren z. B.
- der Initiator eines lokalen Internet-Anzeigenportals, der noch nie von „Web 2.0“, „Technorati“ oder „delicious“ gehört hat (ich empfahl ihm wikipedia),
- die PR-Frau und stolze Besitzerin eines Internetportals ohne openBC-Profil,
- der Musiker der nicht weiß, wie er seine Musik ins Netz bekommt,
- die Alleinerziehende mit dem behinderten Kind, die über 100 Euro für ein Bahnticket Berlin-Hamburg und zurück bezahlte, sich kein Internet leisten kann und daher keine „Surf & Rail“-Tarife ab 39 Euro kennt.
Im Rahmen meines allgegenwärtigen persönlichen Information Overloads las ich
- in der Titelstory des Touristik-Fachblatts FVW von führenden Touristikmanagern, die ihre Geschäfte in und mit Web 2.0 planen,
- in der ZEIT von einem gebürtigen Merseburger, der mit Paypal und seiner Web 2.0-Erfindung youtube in den USA zum Millionär wurde,
- in einigen Weblogs von Skeptikern und Zynikern die bezweifeln, dass Web 2.0 jenseits des Hypes überhaupt existiert und sich alle nur wichtig machen,
- dass sich unter den meistgenutzten Internetseiten Deutschlands (alexaradar.com) jede Menge Web 2.0-Features tummeln, meist Affiliate- (info-ad.de), Networking- (obenbc.de, wer-weiss-was.de) und Nachrichtenangebote (tagesschau.de)
- dass gestandene Online-Netzwerker zu Offline-Marketingaktionen aufrufen, wie Moderator Schätzl im Newsletter der openBC-Gruppe „Werbung, Reklame, Dingdong“ am 16.10.06 schrieb:
„Und noch eine Bemerkung zum Schluss: Das aktuelle „Auftrags-Hoch“, das ich gerade abarbeite, entstammt nicht den openBC-Aktivitäten – es war eine klitzekleine offline-Werbeaktion hier in Leipzig, die mir die Auftragsbücher gefüllt hat. Also immer dran denken: Werbung, Reklame und DingDong gibt’s auch im „echten Leben“ und nicht nur auf dem Bildschirm.“
- dass es zwar einerseits immer mehr Corporate Weblogs gibt, dass aber gleichzeitig internationale Werbeagenturen wie Edelmann (vgl. Röthlingshöfer) vor dem möglichen Imageschaden warnen, der für ein straff aufgestelltes Großunternehmen durch diese chaotische Kommunikationsform möglicherweise entstehen kann.
- dass Zukunftsforscher Horx in einem Vortrag den Zukunftsforscher Naisbitt zitiert:
Wir benötigen eine Technologie-Wachheit.
„Wach“ ist das Wort, mit dem Buddha seinen Geisteszustand beschrieb.
Es heisst zu erkennen, dass Technologie ein nicht wegzudenkender Bestandteil der kulturellen Evolution ist, ein elementarer Instinkt der Menschheit. Doch es heisst auch zu erkennen, dass Alltag, Liebe, Kunst, Natur, gleichberechtigte Partner in der technologischen Evolution sind, denn sie geben der Seele Nahrung. Es heisst, das Leben zu schätzen und den Tod zu akzeptieren. Es heisst zu wissen, wann wir Technologie in unserem Leben in die Schranken verweisen müssen.
in: High Tech-High Touch – auf der Suche nach Balance zwischen Technologie und Mensch,
John Naisbitt – Zitatesammlung der Sektion Landwirtschaft am Goetheanum
ebenso: Matthias Horx, Technolution. Vortrag auf dem MCM Forum Web 2.0
Was soll uns das sagen?
Leute, haltet mal die Luft an. Es gibt keinen Web 2.0- Hype. Das Web 2.0 ist längst da. Und doch auch wieder nicht. All das, was sich unter dem Oberbegriff Web 2.0 tummelt, ist NICHTS ohne die kritischen, kreativen und fleißigen Menschen, die dafür Content produzieren. Content im Sinne von echten und lesenswerten Inhalten – bezahlt oder unbezahlt.