Gemüseeintopf mit Würstchen
Gestern war ich eingeladen zum ersten Mediafon-Selbstständigentag in der verdi-Zentrale an der Kreuzberger Köpenickerstraße. Direkt um die Ecke das langjährig besetzte Köpi-Haus (zuletzt war ich hier vor 15 Jahren zum Konzert) und in Sichtweite der Ostbahnhof. Ich steige aber (blöderweise) S-Jannowitzbrücke aus und gerate in einen ätzenden November-Nieselregen.
Auf dem verdi-Lageplan ist ein Weg an der Spree eingezeichnet, der gar nicht existiert – das Paula-Thiede-Ufer. Verdi-Besucher aus Bayern oder sonst woher sind vermutlich brav dem auf der Karte eingezeichneten Trampelpfad gefolgt, der mitten in eine kleine Wagenburgsiedlung führt … und von dort nicht weiter.
Um so schöner war das Ankommen. Wow, ein tolles Haus. Hier lässt sich gut Pläne schmieden, konspirative Treffen und Workshops abhalten, Mitglieder verwalten. Mir wird schon ganz gewerkschaftlich zumute.
Die Leute sind sehr nett, ein wenig gestresst, kein Wunder, bei von mir geschätzten ca. 400 Teilnehmern und einem ensprechenden Haufen Namensschilder und Workshops. Listen werden geführt, Schilder von Hand geschrieben, Wege erklärt. Im UG beginnt die Podiumsdiskussion, für die Zuhörer im Stehen. Leider vergesse ich drauf zu achten, ob Goetz Buchholz auf dem Podium sitzt. Infostände vom DJU, VdÜ und anderen offerieren Infomaterial, das meiste kenn ich aus dem Web. Ich stecke einen ganz gewerkschaftlich-knallroten Terminkalender ein. Und stelle fest: Das Wort Prekariat liest sich besser, als es sich anhört. Mit einigen Frauen aus meinem 550 Mitglieder starken virtuellen Großraumbüro texttreff machen wir es uns im Café bequem.
Kurz nach 12 beginnen die Workshops. Ich hatte mir ein beinhartes, echt knochentrockenes Thema ausgesucht: Urheberrecht beim Journalisten und DJU-Aktivisten Rüdiger Lühr. Der gleich zu Anfang betont, dass er übers Internet erst um 16 Uhr sprechen wird *seufz*. Es war trotzdem sehr informativ. Das Thema Urheberrecht betrifft ja nun sämtliche urheberrechlich tätigen Leute, freie Journalisten, Fotografen und auch mich.
Es ging um den 2. Korb, die Geräteabgabe (pro Scanner bekommt die VG-Wort z.Zt. 38,35 Euro, pro CD-Brenner 7,50 Euro) und die drohende Gesetzesänderung, gegen die sich Widerstand formiert. Die Abgabe soll auf 5% je Gerät reduziert werden. Die VG-Wort, wo Lühr im Verwaltungsrad sitzt, geht von 80% weniger Einnahmen aus (will heißen: Ausschüttung an die Urheberr).
Initiative Urheberrecht: www.urheber.info
Ein weiterer kritischer Punkt ist die drohende Streichung eines Urheberrechts-Paragrafen, der die Zweitverwertung regelt. Aha! Verträge über „unbekannte Nutzung“ sind, so höre ich, zum jetzigen Zeitpunkt nichtig und verboten, ups. Wichtig scheint es wohl zu sein, sich AGB zuzulegen, weil die geplanten Änderungen auch rückwirkend gelten.
Mir dünkt das Urheberrecht so oder so sehr kompliziert und extrem bürokratisch. Wenn es nicht einmal diejenigen verstehen, die es direkt betrifft … (dazu: Urheberrecht in Stichworten bei akademie.de). Wie ist es damit, dass Kunst FREI ist, fließen muss und nicht eingeschränkt werden darf und kann durch (lebensfeindliche!) Bürokratie und Gesetze? Dass eine Gesellschaft ihre Kreativen am langen Arm verhungern lässt, kanns aber auch nicht sein.
Mein zweiter Workshop war SEHR klasse und äußerst informativ. Es ging ums Thema Arbeiten im Kollektiv bei Gerlinde Schermer-Rauwolf vom kollektiv druckreif, Vorsitzende des Verbands deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ), Mitglied im Beratungsteam von mediafon und ebenfalls im Verwaltungsrat der VG Wort. Sie arbeitet seit über 20 Jahren (glücklich:) in einem großen Münchner Übersetzerkollektiv mit 15 Kollegen und Kolleginnen und berichtete von ihren Erfahrungen, von Weihnachtsfeiern und beantwortete mit Engelsgeduld Fragen.
Einige Workshopteilnehmer waren recht hilflos, hatten beispielsweise noch nie von openbc gehört, und suchen völlig orientierungslos nach Möglichkeiten, sich Gleichgesinnten anzuschließen. Das kann ich nicht nachvollziehen, denn ich habe schon in den ersten Tagen meiner Freiberuflichkeit mit Online-Netzwerken Kontakt aufgenommen.
So viel als Kurzinfo zur Veranstaltung. Es war kein Netzwerktreffen im eigentlichen Sinne (außer vielleicht die Party im Anschluss, die ich aber nicht besuchte, weil zu vergrippt). Eher schon eine Infoveranstaltung, eine Art mediafon live. Man konnte überall Fragen stellen, die bereitwilligst beantwortet wurden, es gab Info-Stände und ich bin nun Besitzerin vom „Weißbuch wider den Ausverkauf der kreativen Leistungen“ vom Aktionsbündnis Kopiervergütung (hier zum Download) sowie eines handlichen Verdi-Terminkalenders 😉
Nach wie vor ist diese Kombination für mich ziemlich ungewohnt: Gewerkschaft und Selbstständige. Fühlt sich _sehr_ anders an, als IHK oder Messe und teilweise finde ich die Denkansätze ziemlich wenig „unternehmerisch“. Zudem ist die starke Individualität der Freien ein heftiger Gegensatz zum Gemeinschaftsdenken von Verdi. Es sind aber sehr nette und engagierte Leute dort unterwegs, so oder so ist es für Einzelselbstständige wichtig, sich eine Lobby zu schaffen. Mediafon ist dafür zweifellos die wichtigste und erstklassigste Anlaufstelle.
Gemüseeintopf mit Würstchen gabs übrigens zur Pause. Das hab ich lange Jahre auf keinem Buffet gesehen (schlimmes Luxusgeschöpf, ich). Erinnert irgendwie an Militär, Gulaschkanonen und: an Gewerkschaft eben.
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Hi,
nette Leute von ver.di danken für Deinen netten Bericht über den ver.di-Selbstständigentag.
Das richtige Buffet gab’s abends. Schade, dass Du zu vergrippt warst, auch da zuzugreifen.
gewerkschaftlich-bockwurstige Selbstständigen-Vernetzungsgrüße!
von Ulli Schauen
oh! Danke! Und schöne Grüße 🙂
Ja, vom opulenten Abendbuffet wurde mir bereits vorgeschwärmt. Sorry für die Flausen mit den Würstchen *duckundrenn*. Und ich las auch bereits hier
http://mmm.verdi.de/archiv/2006/11/journalismus/nur_fuer_manche_ein_ausweg
dass ich mich verschätzte – es waren nur 239 Teilnehmer (angemeldet).