Das WordPress-Upgrade vor wenigen Tagen wirft viele Fragen auf. Was sagen die Website-Entwickler? Ich habe mich eingelesen.
Mit dem Full-Site Editor (FSE wie die Krankheit) hat WordPress fortgesetzt, was mit dem Gutenberg-Editor begonnen hat: Blocks, Blocks, Blocks. Das ist alles gut und schön, schließlich können die WordPress-Entwickler tun und lassen was sie wollen, denn sie bieten uns ihr Content Management System frei und kostenlos zur Nutzung an.
Aber. Eine große WordPress-Community mit Webdesigner:innen, Developern und Anwender:innen verlässt sich darauf, dass die Software sich so entwickelt, dass sich bestehende Projekte, Ideen, Geschäftsmodelle und Websites auch in Zukunft umsetzen lassen.
Genau darüber gibt es momentan große Unsicherheiten. Ich glaube zwar nicht, dass wir uns wirklich Sorgen machen müssen – aber es wird sich manches ändern. Und nicht wenige, die seit vielen Jahren dabei sind, reagieren teils genervt, ablehnend oder enttäuscht über die Neuerungen. Anyway – es ist wie es ist.
Die Roadmap: Wo wir jetzt stehen.
Einen exzellenten Überblick über WordPress 5.9 gibt dieser Beitrag:
kinsta.com/de/blog/wordpress-5-9/
Eine bunte Grafik erklärt die „4 Phasen von Gutenberg“, wir befinden uns etwa in der Mitte der Entwicklung und das Upgrade 5.9 bezeichnen sie als das „MVP – Minimum Viable Product“ – das minimal existenzfähige Produkt. Ähnlich äußert sich Justin Tadlock (Insider und Barkeeper meines Vertrauens) auf wptavern.com:
And, there is no reason for everyone to dive face-first into something that is not 100% on par with what you can build going the traditional route. So, classic themes are the safest bet for a while.
Justin Tadlock, 7.12.21 „Ask the Bartender“:
Auf gut Deutsch: Es gibt momentan keinen Druck, aus heiterem Himmel auf FSE-Themes umzusteigen. Die WordPress-Fabrik hat eingeplant, dass die „traditionellen“ Themes noch eine ganze „Weile“ ihren Dienst tun werden.
WordPress-Themes für nachhaltige Websites
Dazu passt, dass es wohl aktuell erst rund 40 full-site-edit-fähige WordPress-Themes gibt, mit denen sich arbeiten lässt. Das wird sich wohl schnell ändern, denn in vielen Entwicklerstuben rauchen die Köpfe und Fortschritte sind täglich zu beobachten, z.B. bei elmastudio.de.
Einige FSE-Themes habe ich ausprobiert, wie Aino, Frost und mehr. Die Ergebnisse waren im Dezember 2021 noch nicht so, dass ich sie direkt für Kundenprojekte oder Produktivumgebungen nutzen würde.
Das sieht jetzt im Februar bereits anders aus, denn mit WordPress 5.9 funktioniert der Editor viel besser. Dies geht weiter so mit WordPress 6.0, das schon in den Startlöchern steht. Es gibt Anleitungen für Theme-Entwickler, sie lassen Webdesigner:innen nicht im Regen stehen. Nichtdestotrotz bedeutet diese Umstellung für WordPress-Theme-Developer und Website-Creators einen Haufen Arbeit, denn seit Gutenberg bleibt kein Stein bleibt auf dem anderen.
An sich finde ich es vermessen, dass sich WordPress mit dem Erfinder des Buchdrucks gleichsetzt, etwas Demut wäre angebracht.
Alles bleibt gut für Website-Kundinnen und -Kunden.
Website-Auftraggeber:innen können sich beruhigt zurücklehnen. Sofern sie nicht selbst an der Site herumbasteln wollen, ändert sich für sich nichts, denn die klassischen Themes funktionieren weiter.
Im Gegenteil, mit den Blocks ist das Schreiben von Beiträgen SEHR einfach – ich würde sagen, es ist leichter als mit MS-Word (was ich seit diesem Jahr erstmals nicht mehr verwende, weil ich es überflüssig finde). Es gibt viele Plugins, die unterschiedliche Blöcke ergänzen (Genesis Blocks & Co) und die Themes werden durch Standard-Block-Vorlagen mit praktischen, gut gestalteten Design-Optionen ergänzt (z.B. Call-to-action, Bild und Text, Team-Übersicht, Kontaktseite etc.)
Websites erstellen mit dem Full-Site Editor
Das Zusammenklicken einer Website mit dem FSE erinnert mich an meine ersten Schritte mit Blogs, was rund 14 Jahre her ist. Ich kann den Drang zum Selbermachen, zum Gestalten gut nachfühlen. Für Leute mit viel Zeit und wenig Geld ist das eine prima Möglichkeit.
Marke Eigenbau
Wer aber meint, eine solche Site sei am Ende „genauso gut“ wie eine professionelle Website, täuscht sich. Meist sieht man es auf den ersten Blick: Die Abstände sind uneinheitlich, die Schriften falsch kombiniert, die Bilder zu groß oder zu klein, die Nutzerführung ignorant, von Barrierefreiheit oder Datenschutz ganz zu schweigen.
vs. Webdesign
Es gibt eben Webdesign-Basiswissen, wie in allen Berufen, von der Bäckerin bis zum Zimmermann, wodurch sich Marke Eigenbau von Profi-Arbeit unterscheidet. Ganz sicher gibt es begabte Laien und es sei ihnen gegönnt. Aber man sollte die Qualität nicht verwechseln und die Arbeitszeit mit einrechnen.
Und Genesis Framework – quo vadis?
Der Gründer von Studiopress, Brian Gardner, sitzt inzwischen im Management von wpengine, dem all-inclusive-Hoster, der bereits studiopress.com geschluckt hat. Sein letztes eigenes Projekt frostwp.com lief wohl nicht so gut wie geplant, obwohl er Monate daran arbeitete, Mails und Anleitungen verfasste. So überlies er es ab 23.12.21 kurzerhand kostenlos frei der Community. Wow!
Das ist höchst bemerkenswert, denn „Frost“ war teuer. Ich hatte mich letzten Sommer dagegen entschieden, dort für viel Geld einzusteigen. Obwohl Code und Design absolut State-of-the-Art sind und hypermodern. Mir persönlich schien das ganze Projekt von der Grundhaltung her zu kühl, fast abweisend, zu durchgestylt. Ein großer Unterschied zu den fast familiären Anfängen von studiopress.
Der große Coup damals war Brian Gardners glorreiche Idee, ein Design für WordPress anzubieten, das alle noch so kamikazeartigen WordPress-Updates und -Upgrades überstehen würde und sich quasi unmerklich im Hintergrund daran anpassen würde – ein Framework im „Industrial Standard“. Das war nicht nur für mich ein großer Schritt, um WordPress sicher und seriös für die Websites von Kundinnen und Kunden anzubieten. Die exzellenten Theme-Designs wurden – und werden – diesem Anspruch bis heute gerecht, ebenso wie den Anforderungen an Datenschutz (Cookie-frei) und Accessibility (Barrierefrei). Das bietet kaum jemand vergleichbar an und aus diesem Grunde werde ich weiter mit Genesis arbeiten. Aber nicht mehr ausschließlich und ganz sicher unter Vorbehalt.
Nur noch 10 Pro-Themes werden weiter von studiopress aktualisiert
Nach der Übernahme von studiopress durch wpengine hat sich alles geändert. Es kommen keine neuen Themes nach, das Angebot stagniert seit 2021 bei 10 Genesis-Pro-Themes, die aber weiterhin technisch aktualisiert werden („lifetime“). Zum Glück sind es die 10 besten Themes, die ich ohnehin meistens einsetze. Genesis-Themes von externen Anbietern wurden ausgelagert – angeblich bekäme man dort ggf. noch Updates, auf Anfrage.
Zu diesem Geschehen gibt es den wütenden Beitrag eines Webdesigners, der sich betrogen fühlt: wpjohnny.com/betrayed-feelings-about-frost-theme/
Auch im Forum von studiopress.com äußern sich einige Web-Developer enttäuscht über die Entwicklung. Was ich gut verstehen kann, wenn man gerade erst mit einem höheren Beitrag bei studiopress.com eingestiegen ist. Was mir zum Glück nicht so geht, weil ich schon seit den ersten „Revolution“-Zeiten dabei bin und studiopress mir gegenüber immer großzügig war. Das ist nicht selbstverständlich (anders z.B. bei elegantthemes) und dafür bin ich dankbar.
Ab sofort wird es für uns unbequemer. Ich denke, es ist zwar schade, weil wir 10 Jahre lang gut und sicher mit dem Genesis-Framework gefahren sind. Aber es kommt nun eben etwas Neues, das Rad dreht sich weiter.
WordPress erfindet sich von Grund auf neu und der Full-Site Editor bringt klassische WordPress-Themes oder Frameworks wie Genesis an ihre Grenzen.
Neues kommt, altes wird eingebunden.
So heißt es nun einmal mehr, sich in die neue Technik einzuarbeiten, Custom Blocks und Custom Block Templates zu entwickeln: let your projects fly! Sowie viel Zeit und Hirnschmalz zu investieren, um mit der schnellen WordPress-Entwicklung Schritt zu halten.
Es ist nicht das erste Mal, dass wir mit WordPress eine überraschende Wendung erleben – aber diese ist gravierend. Im Moment ist die Entwickler-Community darüber ziemlich aufgewühlt und außer Atem. Nicht nur ich bin etwas verunsichert von den Änderungen, auch wenn sie schrittweise kommen – Widgets werden Blöcke, der Customizer wird wieder abgeschafft, das Login lässt sich auf Chinesisch umstellen … Auffällig ist, dass von den großen kommerziellen Editor-Maschinen wie Beaver Builder und Elementor wenig zu lesen ist. Die sind wohl gut präpariert und wurden rechtzeitig gepampert.
Hoffen wir, dass dies der richtige Weg ist, dass nicht haufenweise Fans abspringen und sich der Wandel für das nette Blog- und Content-Management-System WordPress bewährt.
Es ist nicht so, dass es keine Alternativen gäbe.