Die Familie als Schlangennest, der Schwarzwald als Kulisse
Druckfrisch flatterte unlängst der Krimi-Erstling von Petra Busch auf meinen Schreibtisch. Auf dem Cover prangt Unheil verkündend ein Rabe, darüber in kohlschwarz verwischten Lettern „Schweig still, mein Kind“. Die Autorin ist studierte Mathematikerin, Informatikerin und ausgezeichnete Werbetexterin. Ich war gespannt, wie meine Netzwerk-Kollegin den Spagat hin zu einer literarisch-belletristischen Sprache lösen würde.
Dies gleich vorweg: Kaum ist die letzte Seite zugeklappt, wünscht man sich eine weitere Busch-Geschichte aus dem Schwarzwald. Natürlich mit dem erfrischend nonchalanten Kommissar Ehrlinspiel, dessen hilfsbereiten Assistenten Paul Freitag, nicht ohne den pedantischen Rechtsmediziner Larsson und, last, not least, der eigenwilligen Journalistin Hanna.
Es ist in allerbester Art und Weise unterhaltsam, mit diesen sehr speziellen Leuten durch die nebligen Schluchten des Schwarzwalds zu stapfen, über Leichen zu stolpern, sich Verdächtige vorzuknöpfen, die Freiburger Kaffeekultur zu erörtern oder die variantenreiche Futterration für die beiden anspruchsvollen Kommissarkatzen mit Namen Bentley und Bugatti zusammenzustellen.
Die Story
„Sei still, mein Kind“ beginnt mit dem gewaltsamen Tod der ebenso schönen wie schwangeren Tochter vom Sommerhof. Elisabeth galt als schwarzes Schaf der Familie, sie hatte sich nach Berlin abgesetzt. Nach jahrelanger Abwesenheit war sie anlässlich einer Familienfeier in ihr Heimatdorf zurückgekehrt.
Das 500-Seelen-Dorf ist aufgebracht, die Familie Sommer im Schockzustand. Der zuständige Freiburger Kommissar Ehrlinspiel – „der Herr Stadtpolizist“ – quartiert sich im Dorfgasthof „Heugabel“ ein, um die Hintergründe der Tat aufzudecken. Dort logiert auch die Hamburger Journalistin Hanna, die an einem Schwarzwald-Wanderführer schreibt. Bei einer Erkundungstour in der geheimnisumwitterten Rabenschlucht war sie jäh über die Leiche gestolpert.
Schon bald stellt sich heraus, dass es in der Familie und Dorfgemeinschaft unter der idyllischen Oberfläche brodelt. Neid, Feindseligkeit und Heuchelei bilden den Nährboden für das Verbrechen. Als „Schlangennest“ skizziert Petra Busch diese Verstrickungen. Eindringlich und exzellent herausgearbeitet ist die besondere Stellung des jüngeren Bruders der Toten: Bruno ist Autist. Die Autorin beschreibt diese psychische Störung genau und einfühlsam. Die eigentümliche Welt des Autisten und seine phänomenale Inselbegabung im Bereich Botanik ist der Gegenentwurf zum tumben Dorftrottel.
Mit „Psychokrimi“ wirbt die Ankündigung. Glücklicherweise entpuppt sich der Roman als ein klassischer Krimi in bester Tatort-Manier, mit einer fein gezeichneten Milieustudie und grundsolider Struktur. Die kenntnisreich geschilderten Details aus der Polizeipraxis hat die Autorin persönlich u.a. in der Rechtsmedizin nachrecherchiert. Mehr darüber steht im Nachwort. Der Krimi widmet sich weniger den blutigen Einzelheiten, sondern konzentriert sich auf die psychologischen Hintergründe der handelnden Personen, deren Motive und Beziehungen.
Dieser neue Knaur-Krimi hält die Fahne der traditionellen Krimikultur hoch – und gereicht ihr zweifelsohne zur Ehre. Besonders die psychologisch treffenden Porträts und das Schwarzwälder Lokalkolorit machen das Buch höchst unterhaltsam und lesenswert. Ein Volltreffer für Freunde des psychologischen Spannungsromans.
Schwarzwald-Insidern wird beim Lesen vieles bekannt vorkommen. Schwarzwald-Reisenden, die womöglich gerade im dunklen Tann durch neblige Schluchten spazieren oder winters auf Langlauf-Loipen entlang einsam liegender Gehöfte unterwegs sind, wird die Lektüre von „Schweig still, mein Kind“ wohlige Schauer über den Rücken jagen.