Dröge geht anders. Eine Buchrezension.
Im Buchladen fiel mir der neueste Max Goldt in die Hände, ein schmales, milchkaffeefarbenes Taschenbuch mit einem hübschen Titel in schön geschwungenen Lettern: „Die Chefin verzichtet“. Ich fühle mich sofort angesprochen, der Werbetexter im Autor hat den Dreh raus, wie man das Buch verkauft. Wir sind unwürdig.
Freilich, es war im Grunde ein fast unumgänglicher Fan-Kauf für meine Goldt-Sammlung, ich hab sie fast alle. Aber, nicht alle davon sind gleichermaßen gut und die Hoffnung stirbt zuletzt. Wie Goldt schreibt eben nur Goldt, das kann sonst keiner. Goldt oder Goethe? Die Entscheidung fiel mir immer leicht. Als blutjunge Germanistikstudentin wurde ich einst erstmals mit „In der Spree schwimmen drei behaarte Beine“ konfrontiert und pilgerte unumwunden in seine kultige, ausverkaufte Autorenlesung im schwarz getünchten Loft im Metropol. Ich war und bin kein Fan von Lesungen, danke, ich lese lieber selbst – doch diese war eine rühmliche Ausnahme. Bei Goldt muss man die Ohren spitzen, sonst verpasst man was, dröge geht anders. Es war in diesen Jahren, die dem Autor im Büchlein als „im Rückblick leer und unbedeutend erscheinen, fahl und stagnativ (…) ermüdet durch allzu häufige Besuche von Gaststätten, die jetzt in nostalgischen West-Berlin-Geschichten als legendär bezeichnet werden“. Ja. Wenn ich einmal groß bin, will ich so schreiben wie er. „Ungeduscht, geduzt und ausgebuht fuhr ich in einer überfüllten U-Bahn weh nach Hause.“
Where are we now. Max Goldt hat seinen ganz eigenen Rhythmus und betreibt Sprachkunst auf hohem Niveau, das steht schon mal fest. Eine treue Fangemeinde sieht das ganz genauso und er muss (vermutlich) auch längst nicht mehr wie damals als Stadtführer jobben. Seine Texte sind manchmal verschlossen, rätselhaft und merkwürdig, voll alltäglicher Vorkommnisse, genährt von der Banalität des Bösen. Szenen aus dem ganz normalen Leben benutzt er als Trampolin für die absurdesten Kapriolen und jongliert mit Worten wie mit rohen Eiern. Die Goldt‘sche Sprache hat nicht nur zwei, sondern mindestens sieben Ebenen, die Bedeutungen sind verschlungen und metaphernreich, verbergen sich in scheinbar lakonisch daherschlendernden Sätzen. In denen sich fast jede_r wiederfinden kann, wenn er, sie, es das überhaupt will.
Herr Goldt äußert sich so popkulturell wie politisch und veröffentlicht seine Ergüsse nicht nur in Büchern, sondern auch in „Titanic“, der männerbündischen Erwachsenenversion des MAD-Magazins. Jedenfalls spießt er mit spitzer Feder zeitgemäße Themen auf, religiösen Fanatismus, Gender Mainstreaming, Inspiration und Emotion, das Rauchen und Kleinbürgertümliches, er schreibt sich den Ärger über Unfreundlichkeiten vom Leib und betätigt sich zudem als Sprachkritiker, „als gesellschaftlicher Nichtsnutz und Kreuzritter der Zukunftsfähigkeit“. Und lässt uns an seinen absurden Textentdeckungen teilhaben:
Hinweis neben der Tür zur Herrentoilette eines Restaurants in der thüringischen Stadt Mühlausen: Lichtschalter Toilette Herren in der Damentoilette.“
Oder am Zusammentreffen mit Hotelangestellten in der Probezeit, ein typischer Goldt:
„Viele tragen Anstecker, auf denen es heißt „Ich lerne noch!“ Antwort-Anstecker, auf denen es heißt „Das ist aber auch bitter nötig!“, wären unter Hotelgästen wahrscheinlich Verkaufsschlager.
Sehr schön sind auch die 40 hypothetischen Interviewanworten „ohne die dazugehörigen dummen Fragen“, „die man in Talkshows … gern einmal aus dem Munde eines Prominenten hören würde.“ Keineswegs ist Goldt etwa ein Kabarettist. Er schweift immer wieder himmelweit ab, kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, kehrt allerdings häufig am Ende des Kapitels zum Kern zurück, um den finalen Dolchstoß zu vollenden. Was nur merkt, wer aufgepasst hat. Im vorliegenden Büchlein lässt er sich auffällig oft übers Fernsehen aus: „Sessel und Sofas sind die Rauschgifte des Wohnens“, im Speziellen haben es ihm Talkshows angetan und welche Gründe es geben könnte, sich dieselben anzusehen.
Natürlich ist Max Goldt auch ein Heimatdichter. In Berlin lebende Individuen kichern sich schepp beim Feuerwerksintro, „ist es üblich geworden, jeden noch so nichtigen Volksauflauf als Riesenparty zu deklarieren, die mit einem Feuerwerk gekrönt zu werden verdient.“ Oder man huldigt der herrlichen Beschreibung deutscher Verkehrsbetriebe:
„Über die Berliner S-Bahn weiß man im ganzen Land, dass sie sehr wetterfühlig ist und ein divenhaft launisches eigenes Köpfchen hat; wenn sie nicht will, dann will sie eben nicht. Sollte sie aber mal in einen Bahnhof einzurollen geruhen, wird der Fahrgast darin ununterbrochen angesungen, angeflötet und angebettelt.“
Warum das Büchlein in alter deutscher Schreibung gedruckt ist, bleibt ein Geheimnis, vielleicht zur Rettung des Eszett? “Muß er mal Ute, also, kleiner Einschub für Vergeßliche, die Bardame aus der Mitte dieses Textes, fragen.“
Herrlich. Kaufbefehl.
Mehr davon gibts bei Rowohlt zu lesen:
- rowohlt.de/magazin_artikel/Max_Goldt_Die_Chefin_verzichtet
- rowohlt.de/buch/Max_Goldt_Die_Chefin_verzichtet