Das schöne Leben – Ein Roman von Christiane Rösinger
Das im Frühjahr 2008 erschienene Buch hüpfte mir am Freitag bei amazon in den Warenkorb, zusammen mit Diedrich Diederichsens „Eigenblutdoping“ (dazu später). Gestern wurde „Das schöne Leben“ angeliefert, in kürzester Zeit habe ich es durchgelesen und sinniere seitdem darüber. Dabei heraus kam diese unausweichliche Rezension.
Für mich persönlich ist das Buch eine Sensation, eine unheimliche Begegnung der dritten Art – wie kann es sein, dass hier jemand Teile meiner eigenen Biografie aufgeschrieben hat, unbekannterweise (oder wenn, dann nur mal von fern gewunken)? So wird es sicherlich noch einigen Leuten mehr gehen, die im Berlin der Achtziger im Ausgehmilieu zwischen Adenauerplatz und Schlesischem Tor herumsumpften.
Schon lange dachte ich, es müsste aufgeschrieben werden, was zu dieser Zeit los war, denn es ging Schlag auf Schlag, damals. Christiane Rösinger hat es getan, mit lässigem Stil und Nonchalance. Ihre Texte lassen das Berlin zwischen Endzeitcharme und Mauerfall aufleben. Auch ich kam 1985 her und mäanderte zwischen Dschungel, Loft, Risiko, Anfall, ex&pop, basement, so hießen die Kneipen und die Namen sprechen für sich. Doch die Beschwörung der Vergangenheit, die „Westberliner Sentimentalitäten“ allein sind es bei weitem nicht, was dieses Buch lesenswert macht.
Denn die Autorin wahrt eine fröhlich-spöttische Distanz und pflegt eine gekonnte pointierte Schreibe, die ihr so schnell keiner nachmacht. So schreibt sie über einen Besuch in Süddeutschland:
„Die Freundlichkeit der Bedienungen treibt einem das Wasser in die Augen. In Baden-Baden ist der Milchkaffee schon fast ausgetrunken und bezahlt, da hätte man in Berlin noch nicht einmal Blickkontakt aufgenommen, säße immer noch in der leicht gebückten Demutshaltung am Tisch, leise winselnd: Entschuldigung, könnte ich vielleicht bitte …?“
Das Buch ist in handliche Sequenzen aufgeteilt, in höchstens 6-seitige chronologisch aufeinanderfolgende Kurzkapitel, von der Kindheit im Deutschland der 60er und 70er Jahre bis heute. Auch die süddeutsche Jugend zwischen „Sie wünschen wir spielen„, „SWF3 Popshop“ und Überlanddisco ist für mich persönlich ein Déjà-vu (ich bezeuge, genauso wars), aber zugleich auch eine mit spitzer Feder notierte Sozialstudie der deutschen Provinz im Dunstkreis der 68er-Studentenrevolte, Frauenbewegung, Häuserbesetzungen, deren Durchschlagskraft jenseits der großen Städte irgendwie nie wirklich angekommen ist.
Nach den 1980ern beschreibt Christiane Rösinger sehr göttlich das Umherfahren mit der Band „Britta“ (schräge Musike, geniale Texte), ihre Abenteuer auf Tour („Der Reisende aus Berlin tut generell gut daran, die Schönheiten anderer Städte extrem zu loben und die eigene Stadt tendenziell herunterzuspielen: Berlin-Downsizing ist das Gebot der Stunde“) sowie die Kapitel Drogenforschung I bis III („Jeder, der auf dem Land lebte, weiß, dass dort der Gebrauch von Kokain und Amphetaminen reine Geldverschwendung bedeutet. Wohin mit der künstlichen Energie nach der Sperrstunde in der Dorfdisco?“)
Auch in den 90ern legt die Protagonistin wieder den Finger auf den Puls des untergründigen Nachtlebens, in der neuen Mitte Berlins zwischen improvisierten Clubs und der „ruinösen Schönheit verlassener Straßenzüge“… und ergab sich ganz der Bröselromantik … Ausgeheuphorie! Ausgehen war eine Schnitzeljagd, mit der man sich gleichzeitig die neue Stadt, den unbekannten Osten aneignete.“ Crazy Berlin. So war es und wir alle standen „Davor in Mitte“.
Und dann das Leben als „Freelance-Proletariat“ im Berlin nach der Jahrtausendwende. „Ist das noch Boheme oder schon die Unterschicht?“ fragt die Kapitelüberschrift und Zeile aus dem Britta-Song „Wer wird Millionär“. Rösinger reflektiert über die „Low-Fidelity-Boheme“, den Prekarisierungsbegriff („… lieber sollte man mal wieder über Klassenfragen diskutieren, aber das würde einigen Prekarisierten dann doch zu weit gehen.“). Nicht ohne Sarkasmus wird dem „freiberuflichen Bohemien“ ein ausgewogener Jobcocktail empfohlen, um finanziell und auch sonst unabhängig zu bleiben: „50% künstlerische Arbeit (unbezahlt), 25 % freiberufliche Tätigkeit (kaum vergütet), 25 % Brotjob (von Tippen bis Türstehen): Sommerhaus später, Callcenter jetzt.“
Wer und was bei diesem existenzialistisch-unangepassten Lifestyle alles auf der Strecke blieb, lässt sich im Buch nur zwischen den Zeilen lesen. Es wird deutlich, dass es keine Alternative gab und gibt, denn das Mittelmaß ist nichts für die Boheme, wohin auch immer das führt. Als Blick in die Zukunft der Ausgehgesellschaft malt die Autorin die schillernde Vision der Krankenhauscafeteria, die den Bedürfnissen der neuen Alten angepasst sein wird: Milchkaffee, Latte Macchiato, mediterrane Snacks, Lachsbagels. So ist es, es wird herrlich werden, im Rock’n’Roll-Altersheim.
Fazit: Kaufen! Lesen! Und sich diesem samtigen Cocktail aus Berliner Impressionen von der Tresenfront ganz hingeben, sich treiben lassen durch die Berliner Nächte der 80er und 90er Jahre, am besten bäuchlings auf einer Wiese am See.
- Rezension in der Taz: Weg vom Spargelacker (taz 6.4.08)
- Christiane Rösinger auf single-generation.de: Poptheoretikerin der Single-Generation:
- Buchbeschreibung bei Flittchen Records
Das schöne Leben. Von Christiane Rösinger. Roman
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN-10 359617595X | ISBN-13 9783596175956
Kartoniert, 208 Seiten, 8,95 EUR (hier bestellen bei amazon oder, besser noch, im Buchladen um die Ecke)
Danke für die schöne Rezension, deren Lektüre allein schon sehr viel Spaß gemacht hat!
*knicks* :-)))